Davon muß man ausgehen, wenn man folgendes ließt:
Sehr geehrte Frau Zypries,
vor einiger Zeit hat das Landessozialgericht Berlin es für rechtens empfunden, einem Mann die ALG II-Bezüge zu kürzen, da dieser eine Vollzeittätigkeit der ARGE abgelehnt hat. Hintergrund seiner Ablehnung war, das er ein 3-jähriges Kind betreut… Das Landessozialgericht hielt es für angemessen, das Kind in eine Ganztagsbetreuung zu geben! [..]
Prinzipiell ist das natürlich richtig, aber die Fragestellung geht weiter:
Laut einer Grundsatzentscheidung des BGH diesen Jahres (*Anm.: siehe Ende dieses Berichts), kann eine Vollerwerbstätigkeit nach dem dritten Lebensjahr regelmäßig nicht verlangt werden, da diese zu einer Überbelastung des alleinerziehenden Elternteils führen könne. Selbst wenn das Kind ganztags in einer Kita untergebracht ist!
Folge davon: Der alleinerziehende Elternteil hat u.U. längeren Anspruch auf Betreuungsunterhalt.
Bitte erklären Sie mir, warum ein Erwerbsloser Vollzeit arbeiten gehen muss und ein alleinerziehender Elternteil nicht, sondern kann Betreuungsunterhalt fordern?
Antwort meiner „Lieblingspolitikerin“:
ein Anspruch auf Unterhalt wegen der Betreuung eines Kindes kann – wie ich Ihnen bereits in meiner letzten Antwort mitgeteilt habe – in der Tat über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus bestehen. Es liegt auf der Hand, dass vor allem Kinder jüngeren Alters noch verstärkt der Betreuung durch die Eltern bedürfen. Die Ausübung einer Vollzeittätigkeit ist daher regelmäßig nicht im Interesse dieser Kinder. Sie kann außerdem schnell zu einer übermäßigen Belastung des alleinerziehenden Elternteils führen. Der Bundesgerichtshof hat dies in einer seiner ersten Entscheidungen zum neuen Unterhaltsrecht bekräftigt.
Diese unterhaltsrechtlichen Erwägungen sind jedoch nicht ohne weiteres auf das Sozialrecht übertragbar. Der Staat sorgt zwar für seine in Not geratenen Bürger, muss sich dabei aber schon aus Gründen der Finanzierbarkeit auf das Notwendige beschränken. Entsprechend liegt es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, im Sozialrecht andere oder auch strengere Erwerbsanforderungen als im Unterhaltsrecht vorzusehen.
Betreuenden Elternteilen ist nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch grundsätzlich jede Arbeit zumutbar, sofern die Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes nicht gefährden würde. Die Erziehung eines Kindes über drei Jahre – so das Gesetz weiter – ist aber in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung sichergestellt ist [hier]
Kommentar
Vereinfacht ausgedrückt sagt Frau Zypries, das das Kindeswohl bei Unterhaltsempfängern einen höheren Stellenwert hat, als wenn der Staat dafür aufkommen muss oder anders ausgedrückt: Solange wir Väter haben, die das Kindeswohl finanzieren können, ist dieses höher gestellt. Wenn aber der Staat das Kindeswohl garantieren soll, dann interessiert dieses Kindeswohl plötzlich nicht mehr. Wie war das noch mit Grundgesetz Artikel 3, Absatz 1
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich
aber manche sind gleicher, insbesondere Frauen und erst recht bei der Kinderbetreuung. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu (aus u.g. Urteil) folgendes:
„Bei der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils ist nämlich stets zu beachten, ob der ihm neben oder nach der Erziehung und Betreuung in staatlichen Einrichtungen verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung des Kindes in Verbindung mit einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen würde (vgl. insoweit Senatsurteil vom 1. März 2006 – XII ZR 157/03 – FamRZ 2006, 846, 847 f. für den Trennungsunterhalt nach früherem Recht). Denn selbst wenn ein Kind ganztags in einer öffentlichen Einrichtung betreut und erzogen wird, kann sich bei Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein, vor allem aber vom Alter des Kindes abhängen kann. Gerade kleinere Kinder benötigen nach einer Ganztagsbetreuung noch in stärkerem Umfang den persönlichen Zuspruch der Eltern, was einen nicht unerheblichen unerheblichen, zusätzlichen Betreuungsaufwand erfordern kann (vgl. insoweit Meier FamRZ 2008, 101, 103), der entsprechend der gesetzlichen Wertung für den Kindesunterhalt in § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht unberücksichtigt bleiben kann. In solchen Fällen ist eine Prüfung geboten, ob, in welchem Umfang und bis zu welchem Zeitpunkt die Erwerbspflicht des unterhaltsberechtigten Elternteils noch eingeschränkt ist.
Immerhin waren die Kinder aus dem BGH-Urteil 7 + 10 Jahre alt, während das Kind des ALG II Empfängers erst 3 Jahre alt ist. Es gibt allerdings noch absurderes. Das Arbeitsamt Euskirchen bestellt eine Mutter nebst ihren 7-monatigem und 2,5 Jahre alten Kleinstkindern zu sich, um über die Sicherstellung der Kinder zu reden, damit diese wohl wieder arbeiten kann [hier]. Wohl gemerkt, mir geht es nicht um eine Diskussion der Zumutbarkeit von Kinder versorgenden Arbeitslosen, es geht um das für mich fast unsägliche Wort Kindeswohl, welches vom Staat nach Beliebigkeit definiert wird.
Anmerkung
*Die Fragestellerin meint vermutlich dieses Urteil BGH XII ZR 109/05 vom 16.07.2008, welches durch sämtliche relevanten Online-Medien ging. Eine Auseinandersetzung mit Medien und dem Urteil findet ihr im Trennungsfaq-Forum und im [WGVDL-Forum]
Keine Kommentare möglich.