Mehrere Online-Zeitungen haben in den letzten Tagen darüber berichtet, das Alleinerziehende künftig Vollzeit arbeiten müssen. Diese Aussagen stimmen allerdings nicht, denn der BGH hat zahlreiche Gründe aufgeführt, die einer Vollerwerbstätigkeit des Betreuenden entgegen stehen. Auch wenn Medien dem Leser weismachen wollen, das es Alleinerziehenden künftig schlechter geht, so sprechen sämtliche Urteile des BGH eine andere Sprache.
BGH-Urteil · Alleinerziehende müssen Vollzeit arbeiten
Muss eine Alleinerziehende nach der Scheidung ganztags arbeiten? Ja, meint der Bundesgerichtshof, wenn das Kind betreut wird und mindestens drei Jahre alt ist. Nur bei „durchgreifenden individuellen Einzelumständen“ könne es Ausnahmen geben – eine wegweisende Entscheidung? Spiegel
Anscheinend wollen Medien den Druck auf Gesellschaft, Politik und Justiz erhöhen, da überwiegend Frauen auf dieses Urteil negativ reagieren werden. Das dem nicht so ist, steht zweifelsfrei fest, wenn man das Urteil gelesen hat. Dort steht eben nicht, dass die Frau künftig Vollzeit arbeiten muss, sondern lediglich, dass das zuständige OLG die genauen Umstände prüfen und die Mutter den Beweis erbringen muss, warum sie nicht den ganzen Tag arbeiten kann.
BGH Aktenzeichen XII ZR 94/09 – Versäumnisurteil – BGB § 1570
a) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa bis zum achten und zum zwölften Lebensjahr, abstellt, wird den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluß an das Senatsurteil vom 30. März 2011 – XII ZR 3/09 – FamRZ 2011, 791)b) Das gilt auch, wenn solche Altersphasen nur als Regelfall behandelt werden, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, die Begründung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils aber nicht auf individuelle Einzelumstände gestützt ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 28). BGH
Nach den ersten Berichten zu diesem Urteil dachte ich kurzfristig noch, dass auf Grund des 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung dieses Urteil gefällt wurde. So steht in der 20-seitigen Zusammenfassung unter Empfehlungen folgendes:
Im Familienrecht gilt es, die Potenziale für eine gleichberechtigte Partnerschaft und Elternschaft und für eine geteilte elterliche Sorgearbeit zu stärken.
Es müssen (Fehl-)Anreize für lange Erwerbsunterbrechungen und eine Fragmentierung von typischen Frauentätigkeiten in nicht nachhaltige Minijobs beseitigt werden. Es sollte sichergestellt werden, dass Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit oder vorübergehende Verkürzungen der Arbeitszeit aufgrund von Sorgearbeit reversibel sind und nicht zu langfristigen Einkommensnachteilen führen.
Nach dem WDR5-Tagesgespräch glaube ich allerdings nicht mehr daran, das überhaupt an eine Umsetzung der Empfehlung der Gleichstellungskommission gedacht wird.
Wie viel Mutter/Vater braucht ein Kind?
BGH macht Alleinerziehenden Druck
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Alleinerziehende nur in Ausnahmefällen ein Recht auf Unterhalt haben, wenn ihr Kind älter als drei Jahre ist. Mütter (die es ja meistens betrifft) und Väter müssen Vollzeit arbeiten, wenn das Kind in einer Ganztagseinrichtung betreut werden kann.[..]Wie könnten sie beweisen, dass ihnen kein Vollzeitjob zugemutet werden kann, wenn sie Betreuungsunterhalt bekommen wollen? Und welche Aufgaben sehen Sie da für die Richter, die im Einzelfall entscheiden, was zumutbar ist. Wie erleben Sie die Betreuung in Ganztagsschulen und Tagesstätten – empfinden Sie die als gleichwertig mit der Betreuung durch die Eltern und wie passen Kinderbetreuung und Berufsalltag zusammen?
Da wurden die Gründe für eine Nicht- oder nur Halbtagstätigkeit durch das Studiogespräch direkt mal vorgegeben.
WDR5
Im neuesten Mikrozensus, der jetzt veröffentlicht wurde, liegt Deutschland als kinderärmstes Land in Europa an letzter Stelle. Woran liegt es, dass z.B. in Frankreich offenbar Mütter auch mit mehreren kleinen Kindern stressfreier vollerwerbstätig sein können? Studiogast: Dr. Isabell Götz, Richterin OLG München, Pressesprecherin und Stellvertretende Vorsitzende Deutscher Familiengerichtstag e.V. WDR5 -> Hier geht es zum Podcast des Tagesgespräches. (36:30 min.)
Isabell Götz ist „unseren“ Erwartungen auf jeden Fall gerecht geworden 😉
Alle Anruferinnen, die sich beklagten, konnte Frau Götz beruhigen und brachte die Standpunkte hervor, die ein Gericht auf jeden Fall berücksichtigen würde und das waren eine Menge Punkte. Fast schon lustig fand ich die Aussage einer Mutter, die über glücklich und entspannte Kinder vor der Trennung sprach und die danach in das absolute, seelische Chaos stürzen würden. Es wurde so getan, als ob Kinder von den Spannungen, die ja vor einer Trennung bereits herrschen, nichts mitbekommen.
Frau Götz unterstützte sämtliche Begründungen der Anruferinnen, die das Urteil weder gerecht, noch in Ordnung fanden. Gerade der BGH habe in X Entscheidungen betont, das Familienrichter im Unterhaltsrecht darauf achten müssen, das der betreuende Elternteil durch seine Berufstätigkeit und das, was an Betreuung verbleibt, dazu würden auch die häuslichen Tätigkeiten gehören, nicht überfordert wird. Wenn die betreuende Person überfordert würde, dann würde das auch auf die Kinder zurück schlagen.
Allerdings beklagte sich auch ein alleinerziehender Vater, der Vollzeit arbeiten geht. Nebenbei nannte der Vater ein Gutachten, für das er 4.000 € berappen musste und bei dem letztendlich sowieso nicht das heraus kam, was seiner Meinung nach für das Kind gut gewesen wäre. Die beiden Männer waren allerdings der Meinung, das es Mütter ungleich schwerer als Väter hätten, alleine auf Grund des Verdienstunterschiedes. Schlussendlich kann man nur sagen – viel heiße Luft um ein Thema, bei dem sich in den nächsten Jahren garantiert nichts ändern wird. Wer sich allerdings die Begründungen der Mütter und auch der zwei Väter anhören möchte, für den ist das Podcast bestimmt interessant.
Moin moin,
schade, dass auch hier der Schlagzeile ‚Frauen müssen Vollzeit arbeiten‘ aufgesessen und diese weiter verbreitet wird. Der BGH hat mitnichten sog. alleinerziehende Elternteile mit Kindern über drei zur Vollzeittätigkeit verpflichtet. Hierfür gibt es erstens keine gesetzliche Grundlage und zweitens gibt es in D keine Zwangsarbeit. Was der BGH klargestellt hat ist, dass es keinen Betreuungsunterhalt gibt, wenn das jüngste zu betreuunde Kind älter als drei Jahre ist und es keine weiteren Umstände (beim Kind, beim Elternteil) gibt, die einer Erwerbstätgiketi im Wege stehen. Diese müsste dann bis zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit ausgedehnt werden, bevor Betreuungsunterhalt gefordert werden kann. Solange ein sog. alleinerziehendes Elternteil keinen Betreuungsunterhalt fordert, solange gibt es auch keine Erwerbsobliegenheit. Dies liegt in einer Linie mit den Regelungen zum ALGII. Niemand ist verpflichtet, eine Arbeit aufzunehmen. Erst, wenn jemand andere dazu bringen will, für den eigenen Unterhalt aufzukommen, seien dies ehemalige Lebenspartner oder der Staat, erst dann wird geprüft, ob der/die Begehrende genügend eigenen Einsatz zeigen und zeigt, um Transferleistungen verlangen zu können.
Das mag unschön sein, für die, die solche Transferleistungen beziehen wollen, das mag auch von manchen als ungerecht empfunden werden, aber so ist die gesetzliche Lage und an die hat sich auch der BGH zu halten.
Also alles halb so wild. Wenn auch im Einzelfall unbequem. Das ließe sich aber im Gesetzgebungsverfahren wieder ändern. Wenn es dafür eine Mehrheit gibt.
Grüße von KaivonderKueste