Bilanz zu „Anne Will“ am Sonn­tagabend

Ein Artikel von Stefan Niggemeier in der FAZ, der zum Thema Anne Will u.a. auch über eine eng­li­sche Polit-Talk-­Show berichtet, war für mich der eigentliche An­lass, einen Ex­tra Beitrag zu erstellen. Fürs zi­tie­ren in den Femokratie News war es einfach zu viel Text.

Es war fast immer wie immer
Es gibt einen Grund dafür, warum jedes Thema bei „Anne Will“ zuerst aufgeblasen und dann mit schwachen Gästen verwässert wird. Heute kommt die Talk­show der verpassten Chancen zum letzten Mal am Wo­chenschluss. Eine Bilanz und ein Ausblick. [..]

Sie hatte einen Becher mit Kaffee oder Tee vor sich stehen, aber dem Termin fehlte jede Gemütlichkeit. Baroness Buscombe, die Vorsitzende des britischen Presserates, war am Dienstag zu Gast bei Andrew Neil in dessen BBC-Sendung „Daily Politics“. Neil hatte nach neuen Enthül­lun­gen über die Abhörprakti­ken der „News of the World“ eigentlich nur eine Frage an sie: Gibt es irgendetwas Sinnvolles, das der Presserat in die­ser Sache getan hat? Weil Baroness Bus­combe darauf nur mit Floskeln und Ausflüchten reagierte, wiederholte Neil die Frage gnadenlos im­mer wie­der, in zunehmend verächtlichen Formulie­run­gen. Zwischendurch war die Presseratsfrau so in die Ecke getrieben, dass sie ihn verse­hent­lich mit „Neil“ ansprach, als sei das sein Vorname. Fast neun Minuten dau­er­te das grausame Schauspiel, und am Ende hatten die Zuschauer einen um­fassenden Eindruck von der Lächerlichkeit dieses Gremiums.

Das würde bei uns garantiert nicht anders aussehen, aber unsere Main­stream-Journalisten dürfen halt nur noch das Schreiben und Vortragen, was Wirt­schaft und Poli­ti­kern genehm ist.

Für Engländer hatte die Szene angesichts der Ungeheuerlichkeit der Vorwürfe vielleicht eine kathartische Wirkung; als deutscher Zuschauer nahm man aufs Neue eine große Leerstelle im eigenen Fernsehen war: Es gibt kaum eine Sendung, in der Menschen mit Macht, Einfluss oder Ver­antwortung im konzen­trier­ten und notfalls aggressiven Zwiegespräch in die Zange genommen werden. Das war einmal anders.

Leider kann man dieser Aussage nicht widersprechen.

In den achtziger Jahren fühlte Claus Hinrich Casdorff im WDR in „Ich stel­le mich“ Prominenten auf den Zahn; vor zehn Jahn setzte Michel Fried­man in der ARD Politiker einem halbstündigen Stresstest aus; und dann gab es in den „Tagesthemen“ eine Moderatorin Anne Will, die es immer wieder schaffte, erhellende, gelegentlich entlarvende Gespräche zu füh­ren. [..]

Auch der „Hart aber Fair“ Moderator Frank Plasberg ließ sich in früheren Zeiten weniger vom politischen Mainstream beeinflussen.

Wer „Anne Will“ einschaltet, um zu sehen, was passiert, wird regelmäßig enttäuscht. Man schaltet „Anne Will“ ein, um zu sehen, was nicht pas­siert. Man kann sich die Sendung angucken wie einen Filmklassiker, den man sich immer wieder anschaut. Es ist eine Konstante mit beruhigen­der Wirkung. Sie rüttelt nicht auf, sondern sediert. Was auch passiert in der Welt, es werden sich Menschen finden, die dafür oder dagegen sind und sich bei „Anne Will“ gegenseitig vorwerfen, nicht ausreden zu dür­fen, ob­wohl sie die anderen gerade haben ausreden lassen. [..]

Nach Jahren der Dauerberieselung diverser Journalistinnen sind viele vermutlich auf Günter Jauch gespannt.

Wenn man eine Bilanz ziehen wollte der vier Jahre „Anne Will“ am Sonn­tagabend, könnte man es pauschal in vier Worten tun: Es war wie im­mer. [..]

Eigentlich gäbe es mehr dazu auch nicht zu sagen, aber Stefan Niggemeier schöpft noch Hoffnung.

Wenn sie im Herbst am Mittwochabend wiederkommt, nach den „Ta­ges­the­men“, könnte sie sich eigentlich frei machen von all dem Ballast, dem Erwartbaren, den Ritualen, der Inszenierung. Und zum Beispiel, was sie kann, gut gelaunt aggressive konzentrierte Gespräche führen, wie es sie im deutschen Fernsehen nicht mehr gibt. FAZ

Für mich stellt sich lediglich die Frage: gibt es überhaupt noch irgendeine Polit-Talk-Show, die man sich anschauen mag? Ich denke da speziell an Alice Schwät­zer, wo sich diverse Redaktionen anscheinend aus unerfindlichen Gründen genötigt sa­hen, diese Person einzuladen.

Weitere Online Medien haben ebenfalls etwas zu Anne Wills letzter Sendung ge­schrie­ben.

Mit den Waffen einer Quotenfrau
Schön ist es nicht, wenn sich ein Studiogast als Choleriker entpuppt – aber sehr unterhaltsam: In ihrer letzten Show vor der Sommerpause wollte Anne Will den deutschen Panzer-Deal mit Saudi-Arabien zerlegen. Allerdings musste sie erst einen pöbelnden Publizisten runterkühlen. Spiegel

Interessant ist auf jeden Fall die unterschiedliche Wahrnehmung.

Zoff-Talk um Panzer-Deal · Arnulf Baring mischt die Runde auf
[..]Der streitbare Baring brachte mit Temperamentsausbrüchen ge­le­gent­lich Schwung in die sonst eher sachlich und ruhig verlaufende Debatte. Als ihm die Argumente der Export-Gegner zu sehr auf die Nerven gingen, polterte er lautstark dazwischen: „Ach Kinder, ihr seid doch alle sim­pel.“ BILD

Die einen fanden Arnulf Baring pöbelnd, die anderen sehen ihn als positiv auf­mi­schend an. Gut, das Geschmäcker verschieden sind 😉

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