Jungen- und Männerpolitik im Bundestag?

Nachdem die Bundestagssitzung zum Thema „Neue Pers­pektiven für Jungen und Männer“ schon ein paar Tage alt ist und sich kein einziges Online-Medium mit diesem The­ma beschäftigt hat, erfolgt nun ein Bericht da­rü­ber. Die Titelüberschrift wurde absichtlich mit einem Fra­ge­zei­chen versehen, da man sich nach dem lesen des Ple­nar­pro­to­kolls in der Tat fragen muss, ob es nun um Jungen und Männer oder doch eher um Frauen und Mädchen ging.

Den Vogel in dieser Plenarsitzung hat Caren Marks ab­ge­schossen. Sie war tat­säch­lich der Meinung, die SPD habe sich schon immer um Jungen und Männer ge­küm­mert. Des­wegen vertrat Frau Marks auch die Ansicht, Kristina Schröder würde die Ge­schlech­ter­po­li­tik spalten. Diese Aussage kann man nur noch als Realitätsverlust be­zeich­nen. Gleich­stellung und Gender Mainstreaming war seit je her Frauenpolitik. Es vergeht im Bun­des­tag kaum eine Sitzung ohne ent­sprechende Anträge der Op­po­si­tion.

Gerade der 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zeigt in aller Deut­lich­keit, was sämtliche Fraktionen unter Gleichstellungspolitik verstehen: Frau­en­för­de­rung! Die­­ser Bericht wurde zum einen im FemokratieBlog eingestellt, in dem u.a. die für uns re­le­van­ten Punkte aus dem Sachverständigengutachten hervor gehoben wurden.

MANNdat hat das Gut­achten hingegen trefflich analysiert und mit einer Stel­lung­nah­me versehen. Diese zeigt auf, das wichtige Daten zur Situation von Jun­gen und Män­nern darin entweder als Fußnote versehen oder komplett ignoriert wurden.

Allerdings geht aus dem Plenarprotokoll klar hervor: sämtliche Parteien wollen nicht den Jungen, sondern neue Jungen fördern, was der Antrag der CDU/CSU und FDP in sei­nem Titel ausdrückt.

Aus dem entsprechenden Plenarprotokoll folgen nun ein paar Highlights.

Plenarprotokoll 17/105 • Deutscher Bundestag • Stenografischer Bericht •
105 Sitzung • Berlin, Donnerstag, den 14. April 2011
Perspektiven für Jungen und Männer aus Plenarprotokoll 17105 vom 14.04.2011

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Michaela Noll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab­ge­ord­neten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neue Perspektiven für Jungen und MännerDrucksache 17/5494

Caren Marks (SPD):
Mit Erstaunen habe ich den Antrag von Union und FDP „Neue Pers­pek­ti­ven für Jungen und Männer“ gelesen. Wie ist es möglich, dass Ihnen erst jetzt klar geworden ist, dass Gleichstellungspolitik beide Ge­schlech­ter im Blick haben muss? Das ist eine ebenso selbstverständliche wie banale Er­kennt­nis.

In Goslar kann diese Erkenntnis nicht angekommen sein, denn die dortige Gleich­stel­lungsbeauftrage Monika Ebeling versucht man gerade aus ihrem Amt zu ver­trei­ben. Der Grund: sie kümmert sich um Frauen und Mädchen, sowie um Män­ner und Jun­gen. Nicht nur Arne Hoffmann hat darüber berichtet. Wer sich aus­führ­li­cher in­for­mie­ren möchte, findet bei Google jede Menge Seiten zu diesem Thema.

Caren Marks (SPD):
Selbstverständlich setzen erfolgreiche familien- und gleich­stel­lungs­po­li­tische Maßnahmen bei Frauen und Männern, bei Jungen und Mädchen glei­cher­ma­ßen an. Sozialdemokratische Gleichstellungspolitik war schon immer darauf ausgerichtet, die Lebensbedingungen eines jeden Kindes und Jugendlichen un­ab­hän­gig vom Geschlecht zu verbessern und auf Chancengleichheit hinzuwirken.

Deshalb hat die SPD in ihrem Hamburger Grundsatzprogramm (Seite 41) aus dem Jahr 2007 auch folgendes stehen: Wenn wir gleiche Teilhabe für Frauen und Män­ner ver­wirk­li­chen wollen, müssen wir alle Lebensbereiche umgestalten:

Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden

Caren Marks (SPD):
[..]Nicht Jungen per se sind benachteiligt bzw. haben Schulprobleme; es sind die Jungen aus benachteiligten und bildungsfernen Familien, die vor allem durch schwarz-gelbe Politik konsequent weiter abgehängt wer­den. Das ist ein Widerspruch höchsten Grades.

In einem muss man Frau Marks recht geben: auch in CDU/CSU geführten Ländern sind Jungen in der Bildung benachteiligt. Dieses hat MANNdat durch eine An­fra­ge und den entsprechenden Antworten an 5 Parteien Anfang März bestätigen können.

MANNdat e.V.
Die derzeitige Situation der geschlechterspezifischen Förderung in Ba­den-­Württemberg benachteiligt Jungen. Neun reinen Mäd­chen­för­­der­pro­jek­ten an Pädagogischen Hochschulen steht kein einziges spezielles Jun­­gen­pro­jekt zur Seite. Ergebnisse

In anderen Bundesländern wird es nicht besser aussehen und somit kann man Tei­le der Bundestagsrede von Frau Marks getrost als verlogen bezeichnen.

Caren Marks (SPD):
Die SPD-Bundestagsfraktion hat ernsthafte Antworten auf die Frage, wie wir Kinder und Jugendliche besser unterstützen und fördern können: Es kommt auf den Anfang an. Kinder müssen also so früh wie möglich ge­för­dert wer­den. Darum müssen wir beim Krippenausbau mehr Fahrt auf­neh­men.

Wenn das die Lösung der SPD ist, na dann gute Nacht Marie 🙁

Caren Marks (SPD):
[..]Was tun Sie eigentlich für die Förderung von Mädchen und Frauen? Hier kürzen Sie und verteilen Mittel für die Förderung von Frauen in die Förderung von Männern um. So wird Gleichstellungspolitik nicht ge­lin­gen; denn diese muss auf beide Geschlechter ausgerichtet sein.

Zunächst wird suggeriert, das die SPD bei der Gleichstellungspolitik schon immer beide Geschlechter im Blick hatte und ein paar Sätze weiter geht es dann wieder um Frauen und Mädchen – allerdings nicht nur bei Frau Marks.

Diana Golze (Die Linke)
Vor diesem Hintergrund kann ich über den von Ihnen formulierten Prüf­auf­trag, ob auch Männer Gleichstellungsbeauftragte sein sollten, nur den Kopf schütteln. Solange es eine strukturelle Ungleichbehandlung von Frau­en gibt, bedarf es eines solchen besonderen Wächteramtes für Frauen.

[..]Vereinfachungen und die umgekehrte Stilisierung von Männern zum Opfer „des Feminismus“ helfen nicht weiter.

Das nur Frauen Opfer sein können, wissen mittlerweile sogar schon Kinder.

Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen):
Besonders bei der Finanzierung von Jungenarbeit und der tatsächlichen Verankerung bleibt Ihr Antrag völlig nebulös. Jungenpolitik darf nicht auf Kosten der weiterhin notwendigen Mädchenpolitik gehen.

[..]Frau Schröder, wir wollen endlich Taten sehen. Wir kritisieren auch Ih­re unsachliche Feminismuskritik, mit der Sie nur von eigenen Ver­säum­nis­sen ablenken wollen. Sie erklären den Geschlechterkampf für be­en­det. In Gast­bei­trä­gen in der FAS führen sie ihn aber munter weiter, in­dem Sie so­zu­sa­gen Feminismus-Bashing betreiben. Sie bauen einen Popanz auf, in­dem Sie dort behaupten, es gebe eine verbreitete Ab­leh­nung der Jun­gen­po­li­tik. Das sehe ich so nicht. Das Gegenteil ist doch der Fall.

Das beweist der heutige erfolgreiche Boys’ Day eindrucksvoll. Fe­mi­nis­mus-Bashing ersetzt keine geschlechtergerechte Politik für Frauen und Männer, sondern schadet nur.

[..]Sie bedienen mit solchen Scheindebatten gegen den vermeintlich al­ten Feminismus letztlich abgestandene Klischees. Moderne Gleich­stel­lungs­po­li­tik lässt sich nur mit Frauen und Männern gemeinsam ge­stal­ten. Denn Män­ner sind Partner für die Gleichstellungspolitik. Das sage ich auch als männ­li­cher Feminist.

SPD, Grüne und Linke sind zwar „bereit“, etwas für Jungen zu tun, aber nur unter der Prämisse, das Frauen und Mädchen weiter gefördert werden. Frauen müssten erst einmal in den Führungspositionen ankommen und dann könnte evtl. über Jun­gen­för­de­rung nachgedacht werden. Männerpolitik spielte bei dieser Debatte nur insofern eine Rol­le, indem diese mehr oder weniger aufgefordert wurden, Ge­schlech­ter­­kli­s­chees auf­zu­bre­chen.

Wenn es um Jungen ging, dann eher um die fatale Situation der Migrantenjungen. Der normale, durchschnittliche Junge steht weiterhin nicht im Fokus der linken Par­tei­en.

Kontroverse um Gleichstellungspolitik der Ministerin
Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP haben sich demonstrativ hin­ter die Gleichstellungspolitik von Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) gestellt. In der ersten Lesung ihres Antrags „Neue Per­spek­ti­ven für Jungen und Männer“ am Donnerstag, 14. April 2011, plä­dierten sie dafür, mehr Männer für Berufe im Erziehungs- und Pfle­ge­be­reich zu ge­win­nen und Jungen stärker zu fördern. Jungen und junge Män­ner drohten an Schulen und Universitäten zunehmend hinter Mäd­chen und jungen Frauen zurückzufallen. Die Opposition hingegen warf Schrö­der und der Koalition vor, sie versuche Frauen und Männer ge­gen­ein­an­der auszuspielen. Kurze Zu­sam­men­fas­sung der Plenarsitzung des Bun­des­tags

Die Plenarsitzung zum Thema kann in der Mediathek des Bundestages angeschaut werden.

„Rollenklischees werden wieder gefestigt“
Susanne Klingner, Autorin des Buchs „Wir Alphamädchen“, glaubt, dass der „Boys’Day“ Jungen nur verdeutlicht, dass typische Frauenberufe „un­schö­ne und wirklich schlecht bezahlte Berufe sind“. Deutschlandfunk

Wenn Jungen die Besorgnis der Alphamädchen tatsächlich ernst nehmen würden, dann könn­te der Boys‘ Day fast schon als gelungen bezeichnet werden 😉

Und wie sieht die Wirklichkeit, gerade bei der SPD aus?

Fight against gender violence!
Frauen und Mädchen sind Opfer männlicher Gewalt. Fast jede zweite hat in Deutsch­land bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Diese Ge­walt hin­ter­lässt schwerwiegende körperliche und seelische Schäden. Dabei sind etwa 80% der Täter die eigenen Partner oder Ex-Partner. Wir werden das nicht akzeptieren!

Deshalb: Fight against gender violence! Jusos in der SPD

Die SPD und hier insbesondere Frau Marks hat in dieser Debatte doch pausenlos behauptet:

Sozialdemokratische Gleichstellungspolitik war schon immer darauf aus­ge­richtet, die Lebensbedingungen eines jeden Kindes und Ju­gend­li­chen un­ab­hängig vom Geschlecht zu verbessern und auf Chancengleichheit hin­zu­wir­ken.

Jungen erleiden also keine Gewalt und die Gewalt gegen Männern wird am besten überhaupt nicht erwähnt. Deshalb folgt hier ein kurzer Verweis auf den BeitragPo­li­ti­kern ist Gewalt gegen Kinder nichts wert„. Zumindest das Robert-Koch-Institut hat in seiner Studie über häuslichen Gewalt festgestellt, das Daten zur Gewalt gegen Jun­gen kaum vor­han­den seien. Die logische Konsequenz daraus: Gewalt gegen Jungen exisiert kaum und braucht somit auch nicht thematisiert werden. Das ist die Gleich­stel­lungs­po­li­tik der SPD im 21. Jahrhundert.

WikiMANNia: SPDGleichstellungGender MainstreamingFrauen in der Politik
WikiMANNia: Gender Mainstreaming KostenKosten der Frauenförderung

6 Kommentare.

  1. Oh Mann, ist das krank und absurd.
    Offenbar sind mind. die Hälfte deutscher Politiker massivst krank im Oberstübchen.
    Wie könnte man dies endlich beenden?

  2. Ein wirkliches Stück Zeitgeschichte, das mich massiv an die Diskussion ab 2002 erinnert, als es darum ging durchzusetzen, dass Jungen bei Bildungsabschlüssen Nachteile haben. Erst wurde geleugnet, dann wurde gesagt, das sei eine ausgleichende Gerechtigkeit (Waltrauf Cornelißen, DJI), dann als es nicht mehr ging, zu leugnen, wurden die Jungen ins Visier genommen und behauptet, wegen ihres Macho-Gehabes seien sie selbst schuld… Dieser Auszug aus der Plenar“Debatte“ folgt demselben Schema, „natürlich“ muss Gleichstellungspolitik auch (!) Jungen berücksichtigen, aber „natürlich“ leben wir in einer „männlichen“ Gesellschaft (was immer das auch sein mag) und deshalb müssen (1) Frauen die bezahlten Gleichstellungsposten besetzen und (2) Gelder in die Mädchenarbeit fließen, … wie war die Diskussion nochmal überschrieben? „Jungen- und Männerpolitik“ … Ja, Jungen und Männer braucht man auch, um die finanziellen Zuwendungen an Mädchen und Frauen zu rechtfertigen und sich abzugrenzen … Nach dem 1. WK haben Feministen im UK einen großen Teil der MIttel, die zur Eingliederung der Soldaten, die von der Front zurückkamen in „Frauenprojekte“ umgeleitet… Mir scheint, die Methode hat sich nicht gewandelt…

  3. Jetzt muss man zu den Homepages von Caren Marks, Diana Golze und Kai Gehring gehen und dort starke Kommentare hinterlassen!

    Waren diese 3 die einzigen, die so einen Unsinn abgelassen haben?

  4. Ich möchte dazu auf auf zwei Artikel hinweisen, die klar die feministische Strategie verfolgen alles männliche zu benachteiligen, selbst wenn es sich um Kinder handelt.

    http://wikimannia.org/Bildungsmisserfolg_der_Jungen
    http://wgvdl.com/bildungsmisserfolg

    wima

  5. @Michael Klein

    Die Methoden haben sich in der Tat nicht geändert und ich vermute, das wird sich auch in 50 Jahren noch nicht geändert habe. Wie sonst soll man die ganzen Gleichstellungsbeauftragten rechtfertigen, die entsprechenden Studiengänge und dgl. mehr.

    @wima

    Danke fürs einstellen der Links. Anhand der Studie des BMBF auf der Seite Bildungsmisserfolg der Jungen kann man erkennen, wie schlimm es um die Bildung der Jungen bestellt sein muss. Obwohl die Lehrergewerkschaft GEW allerorten versucht, die Bildungsbenachteiligung der Jungen mittels Vorträgen, „Studien“ zu widerlegen, kann man davon ausgehen, das es vermutlich noch schlechter aussieht, als vom BMBF propagiert. Das Bildungsministerium ist nicht dafür bekannt, besonders Männerfreundlich zu agieren, siehe auch den Bericht zu Professorinnenprogramm wird insgesamt mit 150 Millionen Euro gefördert Ausgerechnet dieses Ministerium soll Jungen absichtlich schlechter gestellt haben, als sie sind?

    @Knn

    Um sich ein exaktes Bild zu machen, lohnt es sich, das PDF-Dokument zu lesen: https://femokratie.com/wp-content/uploads/2011/04/Perspektiven-fuer-Jungen-und-Maenner-Plenarprotokoll-17105-vom-14-04-2011.pdf
    Es sind „nur“ 16 Seiten. Jeder Abgeordnete hat sich bemüht, die auch heute noch wichtige Förderung der Mädchen und Frauen zu betonen. Je nach dem, aus welcher Perspektive man die Seiten liest, kann man über diese Sitzung lachen oder aber wütend werden. Ich hätte noch mehr Schmankerl einstellen können, aber dann wäre es ein nicht mehr enden wollender Beitrag geworden 😉

  6. Petition zur Förderung von Jungen « FemokratieBlog - pingback on 10. April 2014 um 11:08

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