Deutscher Bundestag • Stenografischer Bericht • 47. Sitzung
Plenarprotokoll 17/47 • Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Rede im Deutschen Bundestag von Bundesministerin Kristina Schröder zur 1. Lesung Wehrrechtsänderungsgesetz, Freitag, 11. Juni 2010
[..]Stattdessen will ich die Gelegenheit nutzen, endlich einmal mit drei Mythen um den Zivildienst aufzuräumen, die eine sachliche Diskussion aus meiner Sicht hin und wieder etwas erschwert haben.
„Zivildienst für Profit“ heißt der erste Mythos. Ich meine damit die Behauptung, 30 Prozent der Zivildienstleistenden – nämlich vor allem Zivis in Krankenhäusern – würden nicht für das Gemeinwohl, sondern für den Profit privater Unternehmer arbeiten. Sie alle wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass es heute fast keine Krankenhäuser mehr in Trägerschaft einer Kommune oder eines Landkreises gibt. Jedes Kreiskrankenhaus ist heute als eigenständige GmbH organisiert, landet also deshalb in der Schublade mit dem Label „gewinnorientierte Einrichtung“. Die genannten statistischen 30 Prozent kommen dadurch zustande, dass man diese rechtlich selbständigen Krankenhäuser als „profitorientiert“ einsortiert – und den Zivildienst gleich mit! Diese Argumentation greift aber zu kurz!
Man kann über das Für und Wider bestimmter Trägerstrukturen lange streiten, meine Damen und Herren. Aber das ist eine gesundheitspolitische Diskussion. Für die Frage, welche Schlüsse wir aus der Verkürzung der Wehrpflicht für den Zivildienst ziehen, sind Trägerstrukturen einzelner Krankenhäuser irrelevant! Die Praxis im Zivildienst ist nämlich absolut klar und einfach – und im Übrigen inzwischen mehrfach gerichtlich bestätigt: Als Zivildienststelle anerkannt werden nur Einrichtungen, die entweder vom Finanzamt von der Körperschafts- und Umsatzsteuer befreit sind oder die in den Krankenhausbedarfsplan eines Landes aufgenommen worden sind. Das Bundesamt für Zivildienst hält sich strikt an diese vor Ort getroffenen Einschätzungen zur Förderungswürdigkeit einzelner Einrichtungen.
(Anm. vermutlich der zweite Mythos) Realitätsfern, meine Damen und Herren, sind auch die Diskussionen um die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes.
Klar: Wenn Sie in Deutschland von heute auf morgen alle diejenigen aus dem Sozialbereich abziehen würden, die sich dort ohne Planstelle engagieren, dann gäbe es sicher ein ernstes Problem. Auch das kann man weitschweifig diskutieren – aber bitte im richtigen Zusammenhang!
Arbeitsmarktpolitische Diskussionen auf dem Rücken des Zivildienstes auszutragen, ist weder fair noch sachgemäß. Die Frage der Arbeitsmarktneutralität wird ja gerade beim Zivildienst am schärfsten kontrolliert. Anders als etwa beim FSJ wird jeder einzelne Platz streng auch auf seine Arbeitsmarktneutralität geprüft. Knapp 100 Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter des Bundesamtes sind ständig bundesweit unterwegs, um die Einhaltung der strikten Vorgaben zu kontrollieren. Ein vergleichbar engmaschiges Netz an Kontrollen kennt keine der vielen anderen Engagementformen. Allein deshalb halte ich es für sachlich nicht gerechtfertigt, Zivildienst und Arbeitsmarktpolitik gegeneinander auszuspielen.
Für sachlich unbegründet halte ich auch den dritten Mythos, der in den Diskussionen der letzten Wochen immer wieder bemüht wurde. Da wurde ja gelegentlich der Eindruck erweckt, als müsste man junge Männer aus der Versklavung durch den Zivildienst befreien. Und da frage ich mich dann schon, mit wie vielen Zivildienstleistenden diejenigen, die hier die Befreier vom Joch des Zivildienstes geben, eigentlich gesprochen haben. Entscheidend für die Bewertung des Zivildienstes ist die Bewertung durch die Zivis selbst, und dazu kann ich nur sagen: Für die jungen Männer spielt der verpflichtende Charakter des Zivildienstes ganz überwiegend kaum eine Rolle, was vermutlich damit zu tun hat, dass ihnen eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote offen steht: Rund 98 Prozent aller Zivildienstpflichtigen suchen sich selber ihre Dienststelle und vereinbaren dann die Einzelheiten des Dienstes direkt mit der Einrichtung.
Diese Selbststeuerung funktioniert exzellent. Sie sorgt in der Regel für eine hohe Motivation der jungen Männer. Sie sorgt für einen Wettbewerb der Dienststellen um die jungen Männer. Und sie führt dazu, dass praktisch alle Zivis am Ende ihrer Zeit ein ausgesprochen positives Fazit ziehen [BMFSFJ]
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über die Argumente der Ministerin glatt lachen. Da erdreistet sich die Gute doch tatsächlich beim Zivildienst von Fairnis zu sprechen, denn diese solle man doch bitte nicht außer acht lassen. Wenn der Zivildienst für junge Männer so toll ist, dann frage ich mich, wieso dieser nicht auf eine freiwillige Basis gestellt werden kann. Nachtrag: da werden ja in der Tat Änderungen auf den Weg gebracht, die hoffentlich bald umgesetzt werden.
Der Einzige, der wirklich gut argumentiert hat, war Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE), im Plenarprotokoll ab Seite 4.819 oder Seite 9. Er hat fast alle Punkte vorgetragen, die aus männerrechtlicher Sicht beanstandet werden. Natürlich ist mir bewusst, das es sich aus der Opposition heraus gut argumentieren lässt.
Auch dieser Beitrag ist aus der „Abteilung“ Entwürfe 😉
Plenarprotokoll 17/47 vom 11.06.2010
WikiMANNia: Zwangsdienst
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