Lesbe undercover in der Männerwelt

Als Frau war die New Yorkerin Norah Vincent daran gewöhnt, dass sie in der Nachbarschaft vom Village (Stadtteil von Manhattan) von männli­chen Passanten angestarrt wird. Wie sie sagt, ist das die Art wie „Männer ihre Dominanz durchsetzen“. Aber sie fragte sich oft, was hinter diesen Blic­ken steckt. Also führte sie ein Experiment durch.

So wie John Howard Griffin, der sich für „Black Like Me“ in den südlichen USA von 1959 als Schwarzer verkleidete, und Gregory Peck in dem Oscar-gekrönten „Tabu der Gerechten“ einen Schriftsteller spielte, der sich als Jude ausgab, um den Anti­semitismus zu erforschen, ging Vincent Undercover. Mit Schminke, Training, Garde­robe und einem Stimmtrainer wurde sie zum Mann und tauchte in eine Welt ein, die sie nur von der anderen Seite gekannt hatte.

Das Ergebnis ist ein Buch, „Self-Made Man“, in dem die Journalistin Vincent erzählt, wie sie ihren Spitznamen aus der Kindheit, „Ned“, benutzte, und Mitglied in einem Männer-Bowlingklub wurde; wie sie mit fast drei Dutzend Männern auf eine gefühlsdu­selige Tour in den Wald ging; eine Stelle bei einem Testosteron-befeuerten Ver­kaufsstab bekam; und mit ihren männlichen Kumpeln in Striptease-Clubs abhing.

Sie ging sogar auf einige Dates mit Frauen, obwohl Vincent ihre wahre Identität ent­hüllte, bevor es zu weit gegangen wäre. Um einen überzeugenden Mann abzugeben, klebte sich die lesbische Vincent künstliche Stoppeln für einen Bartschatten auf, und bekam einen Boxerschnitt. Sie band sich die Brüste mit einem Sport-BH zurück und trug lockere Kleidung in mehreren Schichten, stemmte Gewichte und nahm viel Protein zu sich. Sie trug sogar ein künstliches Glied in der Unterhose.

Am Ende war Vincent überrascht von ihren Entdeckungen, die viele Vorurteile wider­legten, darunter:

  • Es sind Männer, die häufig zurückgewiesen werden – und Frauen, angeblich so fein­fühlig für Gefühle, sind unglaublich mit sich selbst beschäftigt.
  • Obwohl Männer angeblich das dominierende Geschlecht sind, sind es die Frauen, die die meisten Gespräche dominieren.

„Ich habe ihnen zugehört, wie sie buchstäblich stundenlang von den kleinsten, stumpfsinnigsten Details aus ihrem Leben erzählt haben“, schreibt Vincent. „Ihnen zu zuhören war so, als würde man eine langsame Frontal-Lobotomie über sich erge­hen lassen.“

  • Frauen sind für einen Teil der Feindlichkeit, die ihnen im Dating-Spiel entgegen schlägt, selbst verantwortlich.

„Die Frauen, die mir gegenüber feindlich waren, haben mich wütend gemacht“, schreibt sie, „und deswegen wollte ich zu ihnen auch feindlich sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Männer in derselben Situation nicht genauso reagiert hätten.“

  • Frauen könnten von einem männlichen Handschlag einiges über Ehrlichkeit lernen.

An dem ersten Abend beim Bowling bot Jim, ihr Mannschaftskapitän, bei der Vor­stellung seine Hand an. „Es war etwas so warmes, verbindendes in seinem Hand­schlag… es war herzlicher als jeder Handschlag, den ich jemals von einer fremden Frau bekommen hatte. Für mich scheinen Frau-Frau-Vorstellungen oft falsch und kalt, voll von lahmer Sanftheit.“ Vincent war auch überrascht zu hören, dass männ­liche, muskulöse Männer sich über „Objektifizierung“ beklagen.

Toby, von der Männer-Selbsthilfegruppe, bei der sie mitmachte, „war gebaut wie eine englische Bulldogge, mit breitem Rücken, kräftigen Schultern und schlanker Taille.“ Aber er stöhnte: „Immer wenn ich in einen Raum oder ein Restaurant komme, beson­ders bei anderen Männern, kann ich die Angst auf ihren Gesichtern sehen, als ob sie denken, dass ich sie verletzen will. Sie glauben, dass ich gewalttätig bin, nur weil ich so aussehe.“ Vincent vergleicht das mit Männer, die glauben, alle Blondinen wären dumm.

Sogar für die schmutzige Stripclub-Kultur sollte die Schuld nicht allein den Männern zugeschoben werden, glaubt Vincent jetzt. Nachdem sie als Mann eine Stripperbude besucht hatte, entschied sie, dass es nicht nur ein Ort war, zu dem Männer gehen, „um Tiere zu sein. Es war auch ein Ort, an dem Frauen einen Rest von sexueller Macht ausüben können, in der denkbar ungeschminktesten Art und Weise.“

Was Vincent am meisten am Mann-Sein hasste, schrieb sie, dass die Gesellschaft von Männern erwartet, nur wenige Gefühle zu zeigen. „Als Kerl hast du eine Band­breite von drei Emotionen. Das ist alles, soweit es die Welt da draußen angeht“, schreibt sie. „Frauen bekommen Oktaven, Farbskalen von Tränen, Freude und Be­sorgtheit… aber Kerle kriegen wenig mehr als Angeberei und Zorn.“

Autor: Billy Heller – Woman dresses up as man to explore stereotypes  
mens activism.org: Quelle
Übersetzung: MC Henrich

Solche Artikel müsste es öfters geben, vielleicht wäre der Geschlechterk(r)ampf dann schnell vorbei 😉

1 Kommentare.

  1. Der Artikel stammt aus 2006. Ist dennoch erstaunlich und beachtenswert.

    Interessanter sind jedoch die Kommentare dazu.