Die Philosophen und Medizinethiker Alberto Giubilini (Universität Mailand, Monash University) und Francesca Minerva University of Melbourne, Oxford University) haben heftigste Reaktionen ausgelöst, weil sie in der Zeitschrift Journal of Medical Ethics die Frage gestellt hatten, warum schwerbehinderte Kinder kurz nach der Geburt nicht ebenso legal getötet werden dürften, wie kurz vor der Geburt. Da die Worte Euthanasie und Kindstötung ungute Assoziationen wecken, solle man das Ganze als „nachgeburtlichen Abtreibung“ deklarieren.
Von dem Umstand abgesehen, dass mir persönlich schon bei Gedanken in dieser Richtung übel wird, stellen sich mir ein paar Fragen. Wer definiert, was eine schwere Behinderung ist? Wo soll eine Grenze gezogen werden? Was die eine Mutter als leichte Behinderung ansieht, empfindet eine andere Mutter als schwere Behinderung. Dann könnte man doch hergehen und allen Müttern das Recht einräumen, zu entscheiden, ob sie ihr Kind als lebenswert ansehen oder nicht. Warum sollte die Grenze kurz nach der Geburt gezogen werden? Behinderungen können auch später mittels einer Krankheit auftreten. Warum soll eine Mutter dann kein Recht mehr haben, ihr nun schwerbehindertes Kind zu töten?
Wenn man schon Gedanken in diese Richtung hat, warum dann nicht auch bei alten Menschen? Viele von ihnen sind genauso unfähig wie Babys, sich selbst zu versorgen. Warum sollte man diese Menschen verschonen?
Auf Telepolis, wo ich den entsprechenden Beitrag gefunden habe, steht folgendes:
Sollte „Abtreibung“, also Kindstötung, auch nach der Geburt noch möglich sein?
In einem Aufsatz haben sich zwei Philosophen dafür ausgesprochen, was heftige Kritik bis Todesdrohungen provozierte
[..]Neugeborene seien moralisch mit Föten gleichzusetzen. Sie seien zwar Menschen und potentielle Personen, aber noch keine Personen, die einen moralischen Anspruch auf Leben hätten. Daher sollte sich nach Ansicht der Autoren, die sich u.a. auf den ebenso umstrittenen australischen Philosophen Peter Singer (Humanist oder Tötungsphilosoph?) beziehen, das Recht auf Abtreibung auch auf Neugeborene erstrecken, wobei sie so weit gehen, dass eine „nachgeburtliche Abtreibung“, die bislang als Neonatizid gilt und mit Gefängnis bestraft wird, in allen Fällen möglich sein soll, in denen auch bislang abgetrieben werden darf, also auch dann, wenn das Neugeborene nicht behindert ist. Die Philosophen schlagen vor, dann die Rede von der Kindstötung oder von der Euthanasie durch den Begriff der „nachgeburtlichen Abtreibung“ zu ersetzen. Die Geburt selbst, also der erste Schritt zur Verselbständigung des Kindes, spielt für die Ethiker keine Rolle. Moralisch gibt es für sie zwischen einer Abtreibung und der Kindstötung eines Neugeborenen daher keinen Unterschied.[..] Telepolis
Zum Schluss frage ich mich noch: was ist mit den Vätern? Dürfen die ebenfalls „abtreiben“?
(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- gegen den Willen der Schwangeren handelt oder
- leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht
(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.
Im deutschen Recht dürfen Mütter ohne Konsequenzen abtreiben, Väter hingegen nicht, wie der Fall eines Mediziners zeigt, der genau das getan hatte.
Arzt wird zu zehn Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt
Coburg (Deutschland), 22.03.2011 – Ein thüringischer Arzt wurde vom Landgericht Coburg zu zehn Jahren Haft wegen versuchten Mordes und versuchten Schwangerschaftsabbruchs verurteilt. Er hatte seiner schwangeren Geliebten das blutverdünnende Mittel Marcumar in den Tee gemischt, um sein Verhältnis vor seiner Ehefrau geheim zu halten.
Der Arzt aus Schmalkalden in Thüringen wurde wegen versuchten Mordes (§ 211 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) und versuchten Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB) verurteilt. Wikinews
Es geht nicht darum, dass ich das Geschehen gut heiße, aber warum wird ein Mann verurteilt und eine Frau für die gleiche Tat nicht?
Wenn man das Thema konsequent zu Ende denkt, kann man sich auch fragen, warum es Gesetze geben gibt, die Mord und Totschlag bestrafen? Es siegt das Recht des Stärkeren, denn darauf läuft es m.E. hinaus.
Es ist durchaus nicht so, daß es in dem Artikel von Giubilini und Minerva nur um die Tötung von schwerbehinderten Kindern ginge. Vielmehr bestehen sie darauf, daß ihre Forderung nach Tötung von Kleinkindern auch für Fälle gelten soll, wo das Kind nur den Wohlstand oder die Bequemlichkeit der Mutter bzw. Familie beeinträchtigen würde — also quasi immer. Siehe hierzu mein Kommentar mit Original-Citaten: http://www.geiernotizen.de/kinder-geburts-tag
Nein, tu das nicht. Bloß nicht konsequent etwas zu Ende denken. Lieber noch ein bisschen auf den Katholiken rumhacken, da ist doch der Feind. Abtreibungen werden doch auch weniger, wenn man sie nicht verbietet und fördert. Und die Welt ist eine lila Zitrone.
Zum Femokratie-Beitrag: Leider kann ich nicht ganz nachvollziehen, wie ich vom konsequenten Weiterdenken der Fristenösung, über die Abtreibung für den Vater, hin zu dem Mann komme, der seine Geliebte niederträchtig fast umbringt? Das scheint mir nicht zusammenzupassen.
Einen IMHO guten Schluss (auch wenn andere Passagen des Kommentars fragwürdig sind) zieht die Ärztezeitung zu der Diskussion (http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/medizinethik/article/807002/soll-man-neugeborene-toeten-duerfen.html):
„Zumindest diesen Verdienst kann man Minerva und Giubilini also zurechnen: ein Gespür für die Willkür geweckt zu haben, die jeder Fristsetzung für eine Abtreibung anhaftet.“
„Es geht nicht darum, dass ich das Geschehen gut heiße, aber warum wird ein Mann verurteilt und eine Frau für die gleiche Tat nicht?“
=> Wo steht das in §218?!
Du meinst wohl das hier:
(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.
=> Eine Person (Mann oder Frau ist egal!) macht sich beim Versuch Strafbar – die SCHWANGERE nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass es diese Regelung zum Schutz des Ungeborenen Kindes gibt (Versuch = Fehlschlag). => Schwangere soll nicht in den Knast, keinem starken Stress ausgesetzt werden usw.
„Im deutschen Recht dürfen Mütter ohne Konsequenzen abtreiben, Väter hingegen nicht, wie der Fall eines Mediziners zeigt, der genau das getan hatte.“
Völlig falsche Aussage – sorry. Es steht doch ganz klar:
(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
Egal wer die Tat begeht, jeder wird bestraft. Aus irgendeinem Grund wird die Mutter nur nicht so hart bestraft.
„…wie der Fall eines Mediziners zeigt, der genau das getan hatte.“
Dieser Fall ist ja mal wohl die Härte. Fällt ja wohl mal klar unter „(2) In besonders schweren Fällen“, weil „gegen den Willen der Schwangeren“ und vielleicht auch „leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht“ (ich bin kein Arzt). Darüber hinaus noch einfach so was verabreicht (daher wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) verurteilt) => Ich kann mir schwer vorstellen, dass das mit dem Hippokratischer Eid vereinbar ist.
Ich bin gerne auf dieser Seite, aber aber aus meiner Sicht wurde da totaler Müll gepostet – sorry.
@ M
Was habt ihr bloß immer mit dem Hippokratischen Eid?
Der wurde schon 1948 durch die „Genfer Erklärung“ abgelöst!
Kein Arzt schwört heute mehr den (ursprünglichen) Hippokratischen Eid. Der verbietet nämlich explizit die Sterbehilfe, das Verabreichen von Abtreibungsmitteln und die chirurgische Tätigkeit!
Zudem beginnt er mit der Formel: „Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygeia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, …“.
Für Moslems unmöglich, und auch Christen und Juden dürften damit erhebliche Schwierigkeiten haben!
Heutezutage unterschreibt ein Arzt (auch Zahärzte!) die „Deklaration von Genf“:
„GELÖBNIS:
Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich:
mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.
Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen.
Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.
Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.
Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren.
Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten.
Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein.
Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung.
Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlich-keit anwenden.
Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre.“
Ah thx für die Info. 🙂
@ M
Geschriebenes, theoretisches Recht und Rechtspraxis sind in diesem Land zwei absolut unterschiedliche Dinge. Um eine Frau zu finden, die wegen Abtreibung eine Strafe bekommen hat, wirst Du ewig suchen müssen.