Dass ein Väterverein durch das Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet wurde, ist an sich schon eine kleine Sensation. Sieht man allerdings genauer hin, dann weiß man auch warum: Kazim Erdogan setzt sich für die Integration türkischer Männer in das feministische System Deutschlands ein. Nun ist Integration per se nichts schlechtes und die Auszeichnung soll auch keineswegs die Verdienste von Kazim Erdogan schmälern, aber letztendlich kann auch er nur das Chaos auffangen, dass der Feminismus ebenso bei türkischen Mitbürger hinterlässt.
Die Botschafter für Demokratie und Toleranz 2011
Kazim Erdoğan lebt seit 35 Jahren in Deutschland und ist fast ebenso lange ehrenamtlich aktiv. Sein Engagement gilt vor allem dem Berliner Stadtteil Neukölln, in dem er sich mit zahlreichen Projekten für Integration einsetzt. Dabei setzt der hauptberuflich beim Sozialdienst Neukölln beschäftigte Psychologe vor allem auf die verbindende Wirkung der Kommunikation. Er gründete den Verein „Aufbruch Neukölln“ und die Bürgerstiftung Neukölln, mit denen er u.a. die erste türkische Väter-Gruppe Deutschlands und die „Woche der Sprache und des Lesens“ ins Leben gerufen hat. Seine Projekte haben bundesweit Schule gemacht [..] BMJ
Der Spiegel schrieb im übrigen über das Engagement von Kazim Erdogan folgendes:
Türkische Männer – „Ein Ehrenmann schlägt seine Frau nicht“
Der Psychologe Kazim Erdogan hat in Berlin die erste türkische Männergruppe gegründet. Dort lernen Machos, bessere Väter, Gatten und Freunde zu werden. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview spricht der 55-Jährige über die Last arrangierter Ehen, gekränkten Stolz und den Wandel des Ehrbegriffs. Spiegel Online
Ein weiteres Interview mit Kazim Erdoğan findet man noch auf Stern.de.
Abschied vom Pascha-Klischee
Bedarf ist da – die Männer öffnen sich
Für türkische Mädchen, für misshandelte Frauen und benachteiligte Kinder, für alle gab es Anlaufstellen – nur für die Väter nicht. Wozu auch, sind sie doch schlagkräftig, patriarchalisch veranlagt und haben ohnehin die Fäden in der Hand. So weit das Vorurteil. Stimmt aber nicht. „Fast alle Männer haben konkrete Probleme mit der Kindererziehung, mit Trennung und Scheidung“, sagt Erdogan. „Viele Themen gelten als Tabu, aber wenn zwei anfangen zu reden, kommen die anderen von selbst.“ Stern.de
Das trifft zum großen Teil auch auf deutsche Männer zu. Bei der Suche nach Berichten über türkische Frauen und ihrem Anteil am Familiengeschehen fand ich einen Artikel mit interessanten Einsichten über türkische bzw. arabische Jungen zum Thema Bildung.
Mohamed aus dem WGvdL.com-Forum
[..]In einer Ideologie, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das Pratriarchat zu eliminieren, wird es keine Bildungsgerechtigkeit geben, weder für eure Jungs und schon gar nicht für türkische oder arabische Jungen. In den Bildungsstätten findet der Krieg gegen das Patriarchat statt, mit zunehmenden Erfolg. Smash Patriarchy! So lautet die Kampfansage. Und diese wird auch konsequent und an der Wurzel, den Schulen, umgesetzt. WGvdL
Nun habe ich auch den gesuchten Artikel gefunden.
Der Mythos vom türkischen Macho
Wer hat die Macht in der türkischen Familie? Der Mann jedenfalls nicht. Die Kluft zwischen der Macht, die ihm zugeschrieben wird, und der real erlebten Ohnmacht ist groß. ZEIT ONLINE
Der Blog „Die Freie Welt“ hat sich mit diesem Thema ebenfalls kritisch auseinander gesetzt. Dr. Alexander Ulfig hat sich zum einen mit oben verlinktem Zeitartikel und zum anderen mit dem Buch „Halbmondwahrheiten. Türkische Männer in Deutschland“ von Isabella Kroth beschäftigt.
Dr. Alexander Ulfig
Die Psychotherapeutin Deniz Baspinar bestätigt in ihrem „Zeit“-Artikel „Der Mythos vom türkischen Macho“ die Beobachtungen von Isabella Kroth. In der Integrationsdebatte – und auch im Feminismus – sieht man meistens die Oberfläche. Die dahinter liegende psychosoziale Realität wird in der Regel ausgeblendet. So wird völlig unreflektiert und unkritisch die Vorstellung vom ungebrochenen Patriarchat in türkischen Familien verbreitet. Dabei werden Jungen und Männer immer als die Täter, Mädchen und Frauen immer als die Opfer dargestellt.
[..]„Viele türkische Frauen nutzen das traditionelle Männerbild für ihre Zwecke: Ihr Mann soll ihre Vorstellungen durchsetzen, die Familie versorgen, stark und unantastbar – ´männlich` – sein. Gleichzeitig aber wird der Mann in einer Kind-Position gehalten – von der eigenen Mutter und von der Partnerin. Es gibt Männer, die nicht entscheiden dürfen, was sie anziehen. Es gibt Männer, die niemals ihrer Mutter widersprechen würden. Es gibt Männer, die mit ihren Eltern zusammnleben und ihren ganzen Arbeitslohn aushändigen. Es gibt Männer, denen die Ehefrau eine Szene macht, wenn sie sich eigenhändig etwas in der Küche zu essen zubereiten. Und nicht zu vergessen: Zu jeder zwangsverheirateten Frau gehört ein zwangsverheirateter Mann.“ FreieWelt.net
Gegen Ende möchte ich noch auf eine Rezension von Alexander Ulfig zum Buch: Halbmondwahrheiten. Türkische Männer in Deutschland” auf der Homepage von MANNdat e.V. hinweisen.
Rezension von Alexander Ulfig
Sie werden als Gewalttäter, Machos, Paschas oder Patriarchen bezeichnet, als Menschen, die lernunfähig sind, an ihren traditionellen Vorstellungen haften und sich in Deutschland nicht integrieren möchten. In der gegenwärtigen Integrationsdebatte werden sie als die Hauptverantwortlichen für die Integrationsprobleme betrachtet. Die Rede ist von den in Deutschland lebenden türkischen Männern. MANNdat
Dass auch türkische Väter Probleme mit dem Rechtsverständnis des deutschen Staates haben, ist spätestens seit dem internationalen Fall Görgülü in der Väter- und Männerbewegung bekannt.
Nach alledem kann man eigentlich nur sagen: in moslemischen Ehen läuft es anscheinend auch nicht besser als in Ehen mit westlicher Prägung. Der große Unterschied scheint mir lediglich im Ehrgefühl zu liegen.
WikiMANNia: Scheidung • Scheidungswaise • Unterhalt • Weblinks • Zwangsehe
Guter Artikel. Aber das hier stimmt nicht zwingend: „Und nicht zu vergessen: Zu jeder zwangsverheirateten Frau gehört ein zwangsverheirateter Mann.“ (Alexander Ulfig) Das kann so sein, wenn für beide Kinder von den Eltern entschieden wird, muss aber nicht, da sich Männer auch solche Ehen für sich entscheiden können.